An heiligen Wassern.

Eine Sage von der Randelbachquelle in Wadelheim
Nacherzählt von August Hollweg.

Den Randelbach, der in vielen krausen und eigenwilligen Windungen der Ems zufließt und kurz vor der dritten Schleuse mündet, kennen sicherlich viele, wenigstens dem Namen nach, seine Quelle aber wird nur wenigen bekannt sein. Sie liegt in Wadelheim hinter den Höfen Schulte-Osthoff und Stockmann auf einer sumpfigen Wiese des Bauern Brüning gt. Wolter. Die Randelbachquelle ist sehens- und erwähnenswert. Sie sprudelt zu aller Zeit schon seit Jahrhunderten in unverminderter Stärke. Wie die alten Leute sagen, versiegt sie selbst in trockenen Sommern nicht. Ihr Wasser ist kristallklar und weich und hat im Winter und sommer die gleiche Temperatur. So kommt es, daß die Randelbachquelle an kalten Wintertagen dampft. Die Quelldämpfe sind besonders stark in mondhellen Winternächten, und es ist nicht zu verwundern, daß sich aus dieser natürlichen, aber doch eigenartigen Erscheinung diese wunderbare Mär im Volke gebildet hat:
In den heiligen Nächten von Weihnachten bis Neujahr, wenn die Sterne vor Kälte funkeln und der Schnee unter den Füßen knirscht, geht der letzte Priester Wodans um, von dessen Heiligtum Wadelheim seinen Namen erhalten haben soll. Mit schneeweißem Bart und in langen weißen Gewändern schreitet er in heiliger Würde vom alten Schultenhof zum Randelbach, geht gesenkten Hauptes den klingenden Bach hinauf und zur Quelle, wo er Wodan opfert und dann in den Quelldämpfen versinkt. Junge Männer mit lauterem Herzen, blonden Haaren und blauen Augen können ihn zur Mitternachtsstunde vorübergehen sehen. Sie dürfen aber zu keinem Menschen davon sprechen, damit der heilige Zauber dieser Nächte nicht gestört wird.
Zu Zeiten unserer Großväter geschah es einmal, daß ein junger Bauer mit Namen Roß in einer kalten Winter nacht von Landersum nach Wadelheim ging. Es war in der dritten Nacht nach dem Weihnachtsfest, und die Mitternachtsstunde war angebrochen. Der Bauer war jung, trug blondes Lockenhaar und schaute aus blauen Augen in die sternenhelle Nacht. Unheimliche, heilige Stille war ringsum. Der Nachtwind hing wie vor Kälte erstarrt unter der glasklaren Himmelsglocke, kein Hund schlug an, und nirgends klirrte ein Tier im Stall mit der Kette, nur derSchnee knarrte unter den Holzschuhen.


                                                             Foto C. Kümpers Söhne, Rheine
An der Randelbachquelle in Wadelheim
Der Wirt und Bauer Stockmann zeigt uns die weißen Sandflecken auf dem Boden des Quelloches, die tagaus,
tagein in sprudelnder Bewegung sind und alle Minuten ihr Aussehen verändern.

Es war dem jungen Bauern zu Mute, als dürfe er nicht weitergehen, um die Heiligkeit dieser Nacht nicht zu stören. Er schaute zurück, schaute zu seiner Rechten und Linken, zu den Sternen und seinen Weg geradeaus. Da sah er ein helloderndes Feuer auf dem alten Schultenhof. Vor dem Feuer aber stand ein hoher Greis mit schneeweißem Bart und langen weißen Gewändern, in deren schneeiger Reinheit sich die leuchtende Röte der Flammen spiegelte. Und der Bauer sah und hörte den Greis, den letzten Priester Wodans, reden. In weitem Ring um das Feuer aber sah er große und gewaltige Krieger, alte Sachsen, die sich auf ihre Schwerter und Spieße stützten und sinnend in das Feuer und auf den Priester schauten. Einer der Recken trat aus dem Ring an das Feuer und hob die rechte Hand in die Flammen. Der zweite und dritte und alle schritten ihm nach. Dann fielen die Flammen in sich zusammen, und grauer Rauch stieg aus der roten Glut. Aus dem Rauch aber schritt ein langer Zug, voraus der ehrwürdige Greis, zum Randelbach. Wie ein silbernes Lied sprudelten die leichten, blanken Wellen über Sand und Stein. Alle Wässerlein waren gefroren, nur der Randelbach nicht, weil sein Wasser tief aus dem warmen Schoß der Mutter Erde kommt, und der Zug der Sachsenkrieger ging den Bach hinauf bis zu seiner Quelle. Sie zogen ihre Schwerter und tauchten Spieß und Schwert tief in ihr Wasser, daß es im Sternenlicht wie Silber von den breiten Schneiden tropfte. Aus der Quelle aber stiegen graue Dämpfe, die Wodans letzten Priester und seine Sachsenkrieger umhüllten, daß sie dem Auge entschwanden. Der junge Bauer hat lange geschwiegen, als er aber zum Sterben kam, da hat er seinen Kindern diese Winternacht erzählt.


Foto C. Kümpers Söhne, Rheine
An der Randelbachquelle in Wadelheim
Die weißen Sandflecken auf dem Boden des Quelloches, aus denen das klare Wasser tief aus der Erde aufsteigt.
Vor vielen Jahren ist das Quelloch einmal gereinigt worden, da ist man in einer Tiefe von 3 Metern auf drei künst-
lich aufgerichtete Findlinge gestoßen, über deren Bedeutung man sich nicht klar ist. In Wadelheim erzählt man sich,
daß diese Steine in der Quelle eine germanische Opferstätte gewesen sein sollen.



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