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Meischepers in Rheine up de Sleip
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Wer seinen Weg über die Brechtestraße stadtauswärts nimmt und die
Hünenborgstraße überquert, findet links hinter der Häuserreihe, ein-
sam in einer Wiese, einen alten Birnbaum; er ist der letzte Zeuge
eines bäuerlichen Anwesens, das hier gelegen hat, eine alte Heuer-
stelle im Besitz derer von Basse, die vor über 450 Jahren urkund-
lich Erwähnung findet.




Es handelt sich hier um ein vor den Toren der Stadt gelegenes Gast-
haus, verbunden mit einer kleinen Landwirtschaft, die im vorigen
Jahrhundert ein Kamphus innehatte, später auf einen Hüser über-
kam, im Volksmund genannt: "Meischepers oder Meischapps".




Die Nahrung zog dieser Heuerling aus jenen Ackerstücken, die zum
Teil von der Neuenkirchener Straße, den Thieberg hinunter, über
Ochtruper Bahn, Ochtruper und Brechtestraße hinweg bis zur Gräfte
verliefen, jenen Graben, der noch heute von Niemeiers (früher zu
Beckerings Kotten) nordwestlich seinen Lauf um den Saum des Königs-
esch-Friedhofs nimmt. Überdies wird im Urkataster von 1828, aber
auch schon viel früher in der Gewannen-Übersicht, jene Ackerflur,
die zwischen Ochtruper Bahn, Grenze Bauer G. Beckmann und Gräfte
liegt, ebenfalls als Meischepers bezeichnet. Das Gewanne benannte
in alten Zeiten eine größere, leicht abgrenzbare Ackerfläche innerhalb
einer Gemeinde, in welcher den einzelnen Bauern ihre Äcker zugeteilt
wurden.




Der Umfang und die Heuer kleiner Pachtungen waren bei den Grundherren
vielfach ähnlich bemessen. Bei Meischepers war sie 7 Morgen groß, sie
reichte aus für Eigenbedarf und das Halten von 2-3 Kühen, welche in
Ermanglung von Pferden auch ins Geschirr gehen mußten. Die Heuer
betrug oft jährlich ein fettes Schwein. Sofern die Heuerleute vom
Grundherrn zu Hand- und Spanndiensten angefordert wurden, erhielten
sie pro Tag 75 Pfennig, teils mit, teils ohne Beköstigung, den Arbeits-
tag zu 10 Stunden gerechnet.

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Auf Spuren grauer Vergangenheit
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Der Geschichte des Falkenhofes ist zu entnehmen, daß zu ihm als
Haupthof noch 20 Unterhöfe gehörten, darunter auch der Balling-
hof auf der Schleupe. Wo er gelegen und wer ihn bewirtschaftet
hat, ist uns nicht überliefert. Bei diesem Ballinghof, der zu Zei-
ten der Aebtissinnen vom Kloster Herford, der Besitzerinnen des
Falkenhofes, existierte, darf man nicht an einen Bauernhof im
heutigen Sinne denken. Die Ackerflur war in jenen Zeiten nur
knapp bemessen. Sowohl der Bauer als auch der Heuerling zogen
außer dem Eigenbedarf nur das, was sie an Naturalabgaben dem
Grundherrn zu leisten hatten. Eben weil der Ballinghof klein war,
entschwand er bald dem Blickfeld der Heimatgeschichte.




Angesichts der Tatsache, daß die Nachfolger vom Falkenhof, die
Familie von Basse, auf der Schleupe nur einen einzigen Pacht-
hof zu Eigen hatten, daß aber auch der verschwundene Balling-
hof auf der Schleupe lag, könnte man daraus folgern, im Pacht-
hof Meischepers den letzten Rest dieses uralten Ballinghofes vor
sich zu haben.




Unter dem Aktenzeichen V 5142 des städtischen Archivs finden wir
aus dem Jahre 1516 ein altes Pergament, das uns Kunde vom Ver-
kauf einer Rente gibt und geeignet wäre, das Dunkel um den Bal-
linghof etwas aufzuhellen.




Es heißt dort:
"Vor dem Richter Egbertus von Langen verkaufen Heinrich Remensnyder
und dessen Ehefrau Alyke für eine Seelenmesse des Macharius von der
Hynt, Pastors in Rheine, dem Johann von Drunthem, Pastor in Rheine
und der Kirche, 1/2 Gfl. Rente aus ihrem Haus auf dem Tie zwischen
Albert Sundermann und + Hermann Beccering aus einem Maltersaat Lan-
des oberhalb der Untyet zwischen Ländereien des Neuen Gasthauses und
dem Ballinghobe und aus ihrem Garten an der Koesteghe. - Zeugen:
Friedrich Kueleman und Heinrich Pelster."




Für die Ermittlung des Ortes der Untyet, der auf der Schleupe zu
suchen wäre, gibt es einige Anhaltspunkte, ihn genau unterzubrin-
gen, gelang bisher nicht.

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Dagegen wissen wir über die Koesteghe (Kuhstiege) mehr. Eine Ur-
kunde aus dem Jahre 1500 gibt an, wo sie gelegen hat. Wir lesen
dort:


"... Garten an der Koesteghe vor der Tieporten zwischen S. Antonius
Garten und dem Kloster Bentlage Garten."




Was war das "Neue Gasthaus"?
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Bei der Auslegung der Bezeichnung "Neues Gasthaus" müssen wir etwas
weiter ausholen. Wenn in der Urkunde von 1516 von eineme "Neuen Gast-
haus" die Rede ist, so setzt das voraus, daá vorher ein altes, viel-
leicht sehr altes, bestanden haben muß. In einer Beschreibung der
alten Friesenstraße, die bekanntlich von Münster, dem Sitz des Bi-
schofs, nach Emden führte, finden wir, daß an ihr Raststellen (Gast-
oder Übernachtungsstellen) gelegen haben.




Dieser Fernhandelsweg traf, von Mesum kommend, in einem Bogen um die
Altstadt Rheine bei dem Rasthaus vor dem Thietor, auf einen wichtigen
Verkehrsknotenpunkt dieser Strecke. Hier vor dem Thie-Tor sammelten
sich auch die von der Küste hierher geführten Tuch-, vor allem Vieh-
transporte. Die Zehntenlieferungen der münsterländischen, emsländi-
schen und friesischen Besitzungen, um die sich die Beauftragten des
Bischofs und die Mönche des Klosters Werden a. d. Ruhr zu kümmern
hatten, konnten ohne den alten Weg und ohne die an ihm gelegenen
Raststätten nicht wirksam werden.




Von dem Neuen Gasthaus, das im Schutze der Devesburg am Unland und
des Hauses Stovern lag, wird der Weg über Ahlde, wo ebenfalls eine
Raststelle lag, nach Emsbüren, dem Urkirchspiel des Klosters Wer-
den, geführt haben. Alle Nachrichten, die wir über die Raststelle vor
dem Thietor, über das Neue Gasthaus auf der Schleupe, über die einzi-
ge Heuerstelle des Falkenhofes auf der Schleupe und dem im Dunkel
der Geschichte liegenden Ballinghof sammeln konnten, lassen den
Schluß zu, daß es sich hier um ein und dieselbe Gegend, um ein und
dasselbe Gast-(Rast-)haus handelt.

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Wenn sich auch bei diesem Gasthaus die Eigeninteressen des Bistums
Münster und der Klöster Werden und Herford begegneten, so wurde
doch darüber hinaus die Beherbergung reisender Fremder als christ-
liche Verpflichtung angesehen.




Die Koesteghe war das untere Stück der Bentheimer Straße. Sie be-
gann am Gymnasialplatz, durchquerte das heutige Gelände der Sei-
lerei Thiemann, führte am Hause Grotke, das deswegen auch schräg
zur heutigen Straße gewandt ist, vorbei und wurde hier von der
Bentheimer Straße (heute Schüttemeyerstraße) aufgenommen.






Bei einem Wirte wundermild ...
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Als der Pächter Kamphus starb, heiratete die Witwe den Gerhard
Hüser, der allgemein als Pfiffikus bekannt war und Wert darauf
legte, vor dem Tor der Stadt eine der wenigen Schankwirtschaften
zu haben. Es ist überliefert, daß Pennäler ältesten Jahrganges
(de Studenten) das alte Gemäuer gern zu einer verschwiegenen
Kneiperei aufsuchten, und daß auch die Wadelheimer Klippbauern
nicht versäumten, hier zu einem Schnäpschen einzukehren. Bei
Fastnachts- und Erntefesten kam die alte Schenke zu Ehren. Man
zog mit Musik durch die Schleupe und Bannewiese, die damals nur
spärlich bewohnt waren, um Brinkmanns (heute F. Tacke KG) herum
an der Bahn entlang zurück nach Hüsers, wo auf der Diele gefeiert
und getanzt wurde. Nachbarkinder, die heute hochbetagt sind, schau-
ten dann zu, sie durften es; denn sie waren mit Kühehüten, Roggen-
binden und Kartoffelaufsuchen ebenfalls am Erntedank beteiligt.






Das Alte stürzt, es ändert sich die Zeit ...
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Im Verlauf der Zeit wurde der Wirt Hüser wegen seiner Kurzsichtigkeit
um die Zechkosten betrogen, so daß das Anwesen unrentabel wurde und
allmählich verfiel. Hinzu kam, daß Landrat von Basse aus diesen Grün-
den auf die Schankerlaubnis keinen Wert mehr legte. Ein besonderes
Schaustück des Kottens war ein Ochse, der an die 1800 Pfund wog und
sehr schwerfällig war. Im Stall lag er, von einem breiten Band um-
gürtet, an einen langen Balken gebunden. Ähnlich wie man heute noch
mittels eines langen Baumes das Wasser aus dem Pütt (Brunnen)
schöpft, mußten auch hier am anderen Ende des Balkens sich mehrere
Personen anhängen.

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Man drückte den Baum herunter und beförderte den Ochsen, ob er
wollte oder nicht, auf die Beine. Später hat der Brenner Stock-
mann, der dem Hüser den Branntwein lieferte, den Ochsen holen
können.


Um die Jahrhundertwende wurde das alte Anwesen abgebrochen. Nur
jener alte Birnbaum, der von Einkehr und Fröhlichkeit erzählen
könnte, steht noch, Sein fallendes Laub erinnert an die Vergäng-
lichkeit der Welt.