- 109 - Tragik eines Bauerngeschlechts ------------------------------ Wohl keine Rheiner Familie ist so urwüchsig mit unserer Stadtge- geschichte verbunden wie die Bauernfamilie Otto, genannt Beckering. Im Jahre 1407 tritt ein Gherd Beckerink in das Licht der Stadtge- schichte; er ist es, der die lange Reihe der Beckerings anführt, die unserem Gemeinwesen so manchen vortrefflichen Ratsmann, Provi- soren der Hospitäler und Bürgermeister schenkten. Die Wiege dieser Familie hat auf dem Markt gestanden. Wann ein Beckering vom Markt zum Thie zog, ist nicht bekannt; hier hatten die Beckerings jahrhundertelang ihr Säland, später ihr Bauernhaus, noch später ihr Erbpachtgut, den historisch bedeutsamen Selkinghoff, vom Gotteshaus Gravenhorst. Im Jahre 1534 hatte ein Lambert Beckering eine enorme Viehhaltung; er hatte in seinen Ställen auf dem Thie 5 Pferde, 8 Kühe, 11 Rinder, 10 Schweine, 8 Ferkel, ihm halfen zwei Knechte, er zahlte als Höchst- besteuerter der Stadt jährlich 4 mark, 6 schillinge und 11 deut. Ein Henrich Beckering verkaufte im Jahr 1493 eine Rente für die Präsenz der Vikarie St. Anna aus seinem Rythues an der Emspforte. Da- mit beginnt die Tragik dieser Bauernfamilie. Wie rote Fäden ziehen sich die stetigen Verkäufe und Schenkungen durch dieses Geschlecht vom Jahre 1493 an bis zur Auflösung dieses großen Bauerngutes im Jahre 1906 und Aussterben der Familie im Jahre 1903 bzw. 1927. Reicher Bürger des Thies ------------------------ Die Äbbadißen Bernardine von Cornarens und ihre Kapitular-Fräuleins vom Gotteshaus Gravenhorst stellten am 9. Oktober 1775 Hermann Beckering, dem Jüngeren, und seiner zukünftigen Ehefrau, der Jungfer Maria Winninghoff aus Riesenbeck, den Erbpacht-Gewinnschein für das Selkinghove-Erbe aus; dieser bildete bei den Verhandlungen mit der - 110 - - 2 - Königl. Domänen-Kammer die Grundlage für den Uebergang in das freie Eigentum des Beckering. Am 5.11.1836 kam zunächst ein Ablöse- vertrag zustande, nach dem die in Geldpacht umgewandelte Natural- pacht auf jährlich 30 Rtlr. festgesetzt wurde. Für die geldliche Ablösung war der 25fache Betrag maßgebend, somit lautete die Rechnung 25 x 30 Rtl. = 750 Rtlr. Dazu kam das ebenfalls nach der Natural- pacht zu berechnende Ablöse-Kapital von 1716 Rtlr. Beide Beträge waren 1849 bei der Reg.-Hauptkasse eingezahlt. Aus der Ehe Beckering-Winninghoff gingen drei Kinder hervor, der spätere Erbpächter Hermann Anton Beckering, geb. 1777, gest. 1860, der Sohn Gerhard Joseph, Kaufmann und Tuchfabrikant, und die Tochter Bernardine, die später den Branntweinbrenner Vohsschulte heiratete. Der Pächter Hermann Anton Beckering, verheiratet mit Elisabeth Klara, geb. Schmedding, war mehrere Jahre Stiftsamtmann vom Kloster Graven- horst. Daher ist es zu erklären, daß die Kapitular-Fräuleins gern Pate bei Beckerings-Kindern standen. Später war er Bürgermeister der Stadt. Nach alten Akten lebte der Beckering jedoch noch Jahre mit der Königl. Domänen-Kammer im Kleinkrieg. So hatte nach dem Erbpacht-Gewinnschein vom Jahre 1775 der Selkinghoff ein Sattelpferd für den Landesherrn, später für deine Durchlaucht, den Herzog von Looz (Rheina-Wolbeck), bereitzuhalten. Obwohl der Beckering dagegen protestierte - er konnte anführen, daß nach dem Königl. Dekret vom Jahre 1821 diese angemeldeten Pflichten zu den ungenannten, jetzt in Wegfall gekommenen Diensten ge- hörten -, setzte man diesen Dienst auf jährlich 8 Rtlr., einen Silber- groschen und zehn deut fest. Erst im Jahre 1861 konnte diese gericht- liche Eintragung gelöscht werden. Den Armen 1000 Mark vermacht ---------------------------- Zwei Kinder sind uns aus der Ehe Beckering-Schmedding bekannt; sie wurden auf dem neuen Bauernhof an der Salzbergener Straße (heute Friseursalon Brüning) geboren: die Tochter Josephine, geb. 1823, - 111 - gest. 1903. Sie ist als blinde Tante Beckering bei manchem betagten Bürger noch heute in guter Erinnerung. In Abwesenheit ihrer Schwägerin, der Wwe. Beckering, tätigte sie im Jahre 1889 den Verkauf ihres Vor- fahrenhauses, des Selkinghofes auf dem Thie, an den Gastwirt und Tischlermeister Fritz Marowski und Frau, geb. Anna Elbers. Nach dem Testament der Josephine Beckering vom Jahre 1900 vermachte sie den Armen der Stadt 1000 Mark. Zu ihrem Erben waren bestimmt der Landgerichtsrat Hillenkamp in Paderborn und der Lohngerbereibesitzer Franz Forell in Drensteinfurt bei gleichen Teilen. Das zweite Kind war Joseph O. gen. Beckering, geb. 1827, gest. 1888. Er ehelichte eine Emma Schröder, geb. 1844 in Bevergern. Diesen letzten Beckering überfiel in seinen späten Lebensjahren eine schwere Krankheit, so daß er für nicht dispositionsfähig erklärt und ihm der Kaufmann Georg Nadorff als Vormund beigegeben wurde. Der Letzte in langer Reihe -------------------------- Nachdem 1888 der Tod den Bauern Beckering erlöst hatte, setzte der Prozeß der Gutsauflösung unaufhaltsam ein. Schon der 1850 einsetzen- de Bau der Eisenbahnlinien erforderte große Geländeabgaben. Wohl darum, daß man ihr die Sorge um den Verkauf ihres Grund und Bodens abnehmen möge, heiratete die Wwe. Beckering in zweiter Ehe den Generalagenten Gustav Pohlmann aus Berlin. Ihm, sowie später Rheiner Auktionaren, ebenso dem Gutsverwalter Bernhard Egbers, erteilte sie Vollmachten zu Verkaufsverhandlungen. Doch war ihr zweites Eheglück nur von kurzer Dauer. Schon am 29.5.1901 starb Gustav Pohlmann, 67 Jahre alt, in Wiesbaden. Er war Sohn eines Polizeibeamten in Charlottenburg. In kleinen Parzellen verkauft ----------------------------- Von dieser Zeit an lebte die Wwe. Pohlmann in Unkel am Rhein und in Bonn. Vom Jahr des Ablebens ihres ersten Mannes 1888 bis zu ihrem am 28.1.1927 in Unkel erfolgten Tode hat die letzte Beckering in Be- - 112 - - 4 - gleitung ihres Mannes nur einmal ihre großen heimatlichen Fluren wiedergesehen. Aber nur um die Bestimmung zu hinterlassen, daß alle Gründe und Aecker in kleinen Parzellen an kleine Leute bzw. Bauvereine verkauft werden sollten, was auch befolgt wurde. Das Ende in Dürftigkeit ----------------------- Von der Witwe Pohlmann wissen wir, daß sie die Zeiten des 1. Welt- krieges und der Inflation recht und schlecht durchstand. Im Mangel der Beziehungen zu ihrer früher eigenen und gesegneten Ackerflur konnte sie nichts unternehmen, was ihr Los hätte bessern können. Was sie an Pacht und verkauften Ländereien eingenommen hatte, war durch die Inflation größtenteils aufgezehrt und verlorengegangen. Damit verging das alte Bauerngeschlecht Otto, gen. Beckering. Nur eine vom Rat der Stadt benannte Beckeringstraße und der auf dem alten Friedhof stehende Familiengrabstein erinnern noch an den ver- schwundenen Selking-Beckeringshof und an ihre nun ausgestorbenen Besitzer. -.-